Rezension
Berliner Zeitung - Feuilleton - 24. August 2005

Der Geruch der Angst

Papa kann gar nichts. Mutti muss können, was Papa nicht kann. Was Mutti nicht kann aber Papa kann: Er schlägt, er schlägt, er schlägt."
In seinem Debütroman "Stinkehose" führt Axel Altenburg den Leser in seine eigene Vergangenheit. Er und seine drei Brüder wachsen im Berlin der 60er- und 70er-Jahre auf und erleben alles andere als eine unbeschwerte Kindheit. Im Erholungsheim wird der sechsjährige Axel nach einer TBC-Erkrankung von Arzt und Krankenschwester sexuell missbraucht. In der Schule werden die Brüder auf Grund ihrer ärmlichen Verhältnisse gemieden. Das Geld ist knapp, der Vater Alkoholiker und die Mutter muss, um die Kinder zu ernähren, Nachbarn und Verwandte anpumpen. Als die Miete überfällig ist, kommt die Familie ins Obdachlosenasyl.

Vaters Bieratem

Dieser Roman ist nicht angenehm. Er ist der Bericht eines Kindes, das schon früh mit einer Angst Bekanntschaft gemacht hat, die man riechen kann. Sie riecht nach Bier aus dem Mund des Vaters, wenn der nicht besoffen genug nach Hause kommt, um gleich ins Bett zu fallen. Dann fliegen unter seiner Faust Möbelstücke an die Wand und die Söhne durch die schäbige Mietswohnung.
Die Angst riecht wie der Eimer, der den Kindern ins Zimmer gestellt wird, wenn der Vater einen schlechten Tag auf dem Bau hatte und der Weg zur Toilette am Abend zum Selbstmord wird. Sie riecht nach dem Gummilaken des kleinen Bruders Detlef, der auch noch als Teenager ins Bett macht oder wie die Wände, wenn der Vater im Suff dagegen pisst.
Jedes Anzeichen auf eine bessere Situation wird bald darauf zunichte gemacht. Als die Familie kurz vor der Schließung des Obdachlosenasyls eine neue Wohnung findet und Axel sich in der Gegend langsam einlebt, beschließt die Familie, während er auf Klassenfahrt ist, in eine Neubauwohnung zu ziehen, deren Miete sie sich nicht leisten können. Der Vater wird nach einer Entziehungskur wieder rückfällig und auch Axels Brüder verfallen zunehmend dem Alkohol, begeistert erzählt der Jüngste beim Abendessen von seinem ersten Schnaps.
Eine Hoffnungslosigkeit schlägt dem Leser aus Altenburgs Bericht entgegen, die sehnsüchtig auf eine gute Wendung warten lässt. Anzeichen dafür scheint es zunächst zu geben, denn Axel, der hartnäckig um den Ausweg aus der Armut kämpft, verbessert sich in der Schule und bekommt sogar eine Lehrstelle angeboten. Dennoch endet der Roman auf dem finanziellen Tiefpunkt der Familie. Alle Wertsachen werden verkauft, die letzten fünfzehn Mark in Lebensmittel investiert. Die Mutter leidet inzwischen an Inkontinenz, ihre einzige Hose ist urindurchtränkt. In einer Mischung aus Ekel und Belustigung betrachten die Brüder ihre weinende Mutter mit der stinkenden Hose in der Hand.
"Mutti tut was sie kann, was sie kann, tut sie. Völlig überfordert, weil sie alles tut, aber nicht alles kann."

Anna Helbling